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Politische Songs - Ausgabe II

Ursprünglich als musikalischer Adventskalender angelegt, lädt diese Sammlung Politische Songs - Ausgabe II ein, anhand weniger Liedzeilen zu erraten, um welchen Song es sich handelt (weitere Songs finden sich in der Ausgabe I, Ausgabe III).

Wem gelingt es, anhand der Abbildung unten zu erraten

- wie der Songtitel lautet?
- wer ihn
  gesungen hat?
- in welchem Jahr er erschienen ist?

Am Ende findet sich die Auflösung mit dem Songtext, Hintergrundinformationen über seine Entstehungsgeschichte sowie ein YouTube-Video.

Viel Spaß beim Mitraten!

SONG 8

> Auflösung

 

TROTZ ALLEDEM

Zwischen 1785 und 1795 gedichtet von ROBERT BURNS
1848 von FERDINAND FREILIGRATH zum Ende der Märzrevolution umgedichtet
1975, 1977 und 2006
von HANNES WADER in unterschiedlichen Versionen veröffentlicht

Robert Burns - Erste Strophe

Ob Armuth euer Loos auch sei,
Hebt hoch die Stirn trotz alledem!
Geht kühn den feigen Knecht vorbei;
Wagt's, arm zu sein trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz niederm Plack und alledem!
Der Rang ist das Gepräge nur,
Der Mann das Gold trotz alledem!

Hannes Wader - erste Version (nach Ferdinand Freiligrath) 1975

Das war ´ne heiße Märzenzeit,
Trotz Regen, Schnee und alledem
Nun aber, da es Blüten schneit,
Nun ist es kalt, trotz alledem
Trotz alledem und alledem
Trotz Wien, Berlin und alledem,
Ein schnöder scharfer Winterwind
Durchfröstelt uns trotz alledem

Die Waffen, die der Sieg uns gab,
Der Sieg des Rechts trotz alledem,
Die nimmt man uns sacht wieder ab,
Samt Pulver, Blei und alledem
Trotz alledem und alledem
Trotz Parlament und alledem,
Wir werden unsre Büchsen los,
Soldatenwild, trotz alledem

Heißt gnädiger Herr, das Bürschlein dort,
Man sieht´s am Stolz und alledem
Und lenkt auch Hunderte sein Wort,
Es bleibt ein Tropf, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem-
Trotz Band und Stern und alledem,
Ein Mann von unabhäng´m Sinn,
Schaut zu und lacht trotz alledem

Und wenn der Reichstag sich blamiert,
Professorhaft trotz alledem
Und wenn der Teufel reagiert,
Mit Huf und Horn und alledem
Trotz alledem und alledem
Es kommt dazu trotz alledem,
Daß rings der Mensch die Bruderhand
Dem Menschen reicht trotz alledem

Hannes Waders - Version III von 2006

Es scheint, als ob das Kapital
In seiner Gier und alledem
Wie eine Seuche, sich total
Unaufhaltsam, trotz alledem
Über unseren Planeten legt
Überwältigt und beiseite fegt
Was sich ihm nicht freiwillig
Unterwerfen will, trotz alledem

Wenn das System auch fault und stinkt
Weiß doch kein Mensch, trotz alledem
Wann es in sich zusammensinkt
Mächtig und zäh, trotz alledem
Wird es wohl noch weiter fortbestehn
Doch sollte es zu lang' so weiter gehn
Könnte, was danach kommt, sogar
Noch schlimmer sein, trotz alledem

Ein Sozialismus müsste her
Mit neuem Schwung und alledem
Denn wenn der wie der alte wär'
Würd's wieder nichts, trotz alledem
Doch auch wenn sich dieser Wunsch wohl kaum
Erfüllen lässt, schützt uns der Traum
Von einer bessren Welt vor der
Resignation, trotz alledem

Was hält dieses System noch auf
In nächster Zeit, trotz alledem?
Wenn es sich schon in seinem Lauf
Nicht bremsen lässt, trotz alledem
Woll'n wir ihm Sand ins Getriebe streu'n
Uns über die Störgeräusche freu'n
Wenn die Profitmaschinerie
Laut knirscht und knackt, trotz alledem
Gewiss, dass auf der Welt
Kein Übel ewig währt, trotz alledem

 

ZUR ENTSTEHUNG

Das sozialkritische Lied "Trotz alledem" ist eines der am meisten rezipierten Lieder der 1848er Revolution und steht bis heute für revolutionäre Bestrebungen nach Unabhängigkeit jeglicher Couleur. Die Wendung "Trotz alledem und alledem" ist in der Folge in derdeutschen Arbeiterbewegung zu einem einflussreichen Motto geworden, das im Zuge der neuen sozialen Bewegungen der 1970erJahre verstärkt wieder aufgegriffen wurde und neue Umdichtungen mit politischen Aktualitätsbezug hervorbracht hat.

Das zugrundeliegende Gedicht Robert Burns ist im englischsprachigen Raum Ausdruck der Bestrebungen nach Unabhängigkeit Schottlands und der Abschaffung der Sklaverei im Abolitionismus. Burns wurde wiederum von der Schrift "The Rights of Man" (1791/92) des englischen Revolutionärs Thomas Paine beeinflusst. Es handelt vom Wert des ehrlichen, armen Mannes, der die Fassade von Reichtum und sozialem Rang durchschaut und der die Vorzüge einer unabhängigen Gesinnung zu schätzen weiß. In der letzten Strophe proklamiert Burns die Ankunft eines neuen Zeitalters von universeller Brüderlichkeit unter den Menschen.
In Schottland wurde Burns' Lied sehr populär und wird noch heute als eine Art inoffizielle Nationalhymne betrachtet, die zum Beispiel 1999 bei der Neugründung des schottischen Parlaments von den Abgeordneten gesungen wurde.

Ferdinand Freiligrath Nachdichtung von 1848 knüpfte mit dem Anfang "Das war 'ne heiße Märzenzeit" unmittelbar an die revolutionären Ereignisse der Märzrevolution an.
Der Text Freiligrathpolitisiert die Grundhaltung der Vorlage, indem er diese - im Sinn von Durchhalten "trotz alledem" - auf die ersten Niederlagen der 1848er Revolution bezieht: insbesondere auf das Wieder-Auftauchen der bürgerlichen Reaktion und die Wiederkehr des Adels nach den anfänglichen Errungenschaften der revolutionären Bewegung.

Auf die "Märzenzeit"-Fassung von "Trotz alledem" wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zurückgegriffen. Ernst Busch machte dabei den Anfang und insbesondere im Kontext der Wiederbelebung von "demokratischen Volksliedern" seit den 1960er Jahren ist das Lied von etlichen west- und ostdeutschen Liedermachern und Folkgruppen gesungen und aufgenommen worden. Die neue Prominenz des Liedes brachte mehrere Umdichtungen mit sich, etwa 1977 von Hannes Wader und Wolf Biermann, welche anstelle der historischen Bezüge die damals aktuellen politischen Themen in den Vordergrund stellten.

Quelle: David Robb, Eckard im Liederlexikon

Hannes Wader 2014 im Interview mit der taz:

Ihr Kollege und Freund Reinhard Mey sagte, als Sie den Echo für Ihr Lebenswerk bekamen, in seiner Laudatio, Sie hätten „das erreicht, was alle Liedermacher sich auf die Fahne geschrieben haben: die Welt ein Stück besser zu machen“. Wie sehen Sie das?

Wader:Da hat Reinhard übertrieben. Den Anspruch hatte ich auch gar nicht, jedenfalls nicht in meinen Anfängen. Als ich angefangen habe, wollte ich nur singen - nicht irgendeine Scheißwelt verbessern. Zu den politischen Songs bin ich in gewisser Weise gezwungen worden - von außen, vom, sagen wir es ruhig so, vom Zeitgeist. Die Frage, die die Journalisten damals in den Sechzigern als Erste stellten, war immer dieselbe: Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Liedern die Welt verändern können? Da war meine Antwort zwar immer Nein, aber der Anspruch stand im Raum. Diese Forderung ist natürlich nicht an mir abgeprallt.

Quelle: Thomas Winkler, taz, 2.2.2014

Hannes Wader 2007 im Interview mit ZeitOnline:

ZEIT online: Trotz alledem III ist ein wütendes Stück über das Leben im Kapitalismus. Sie haben es jetzt zum dritten Mal aufgenommen.

Wader:Trotz alledem ist eine Grundhaltung, die man einnehmen kann. Wenn alles den Bach runtergeht und alles hoffnungslos erscheint, muss man sich trotzdem dagegenstellen, selbst wenn man um die Vergeblichkeit weiß. Diese Haltung steckt in vielen meiner Lieder, ich habe sie nie aufgegeben.

ZEIT online: Sie singen von der Hoffnung, Sand im Getriebe zu sein. Können Lieder die Verhältnisse verändern?

Wader:Sand im Getriebe bin ich ab und zu schon gewesen. Ich habe immer Rückmeldung bekommen von Leuten, die mir nach Jahrzehnten mitteilen wollen, dass meine Lieder sie ein Lebtag begleitet haben und ihnen immer wichtig waren und sie geprägt haben. Das ist der Tenor vieler Briefe. So bin ich froh, nicht wirkungslos geblieben zu sein.

Man kann mit Liedern jedoch nichts verändern, dazu sind sie nicht da. Sie sind dazu da, eine Haltung zu bekräftigen, zu unterstützen und zu begleiten. Das ist schon sehr, sehr viel, wenn es funktioniert.
Ich habe in meinem Leben einige Haken geschlagen. Viele Leute mussten da vielleicht schon schlucken und haben sich gefragt, ob sie mir noch folgen wollen, politisch zum Beispiel. Aber die Leute können ja selber denken und haben ihre eigenen Vorstellungen, sie konnten sich dann an meinen Vorstellungen reiben. Ich reibe mich auch gerne an Meinungen anderer.

Quelle: Jan Kühnemund, Zeit Online, 9.3.2007

 

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