Politische Songs - Ausgabe II
Ursprünglich als musikalischer Adventskalender angelegt, lädt diese Sammlung Politische Songs - Ausgabe II ein, anhand weniger Liedzeilen zu erraten, um welchen Song es sich handelt (weitere Songs finden sich in der Ausgabe I, Ausgabe III).
Wem gelingt es, anhand der Abbildung unten zu erraten
- wie der Songtitel lautet?
- wer ihn gesungen hat?
- in welchem Jahr er erschienen ist?
Am Ende findet sich die Auflösung mit dem Songtext, Hintergrundinformationen über seine Entstehungsgeschichte sowie ein YouTube-Video.
Viel Spaß beim Mitraten!
SONG 19
> Auflösung
AN TAGEN WIE DIESEN aus dem Jahr 2005 gesungen von FETTES BROT und Pascal Finkenauer
Moin, moin – was geht?
Alles klar bei dir? Wie spät?
Gleich neun – okay.
Will mal eben los, Frühstück holen gehen
Schalt den Walkman an, zieh die Haustür ran
Lauf die Straße entlang bis zum Kaufmannsladen
Denn da gibt's die allerbesten Brötchen weit und breit
Kann am Tresen kurz mal lesen, was die Zeitung schreibt
Irgendwas von 'nem Großangriff
Unzählige Bomben auf kleine Stadt
Viele Menschen ums Leben gekommen
Und dem Erdboden gleich gemacht in nur einer Nacht
Ich zahle und verlasse den Bäcker
Hör noch den Nachrichtensprecher
"Lage wieder mal dramatisch verschlechtert, heute fantastisches Wetter"
Plötzlich gibt's 'n Knall, tausend Scherben überall
Die Nachbarskatze hat's erwischt bei 'nem Verkehrsunfall
Der Anblick kann einem echt die Laune verderben
Was fällt diesem Mistvieh ein, hier genau vor meinen Augen zu sterben?
Absolute Wahnsinnsshow
Im Fernsehen und im Radio
Die Sonne lacht so schadenfroh
An Tagen wie diesen
Niemand, der mir sagt, wieso
Beim Frühstück oder Abendbrot
Die Fragen bohren so gnadenlos
An Tagen wie diesen
Eine Million bedroht vom Hungertod nach Schätzungen der
Während ich grad gesundes Obst zerhäcksel in der
Seh' ein Kind, in dessen traurigen Augen 'ne Fliege sitzt
Weiß, dass das echt grausam ist, doch scheiße, Mann, ich fühle nichts
Was ist denn bloß los mit mir, verdammt, wie ist das möglich?
Vielleicht hab ich's schon zu oft gesehen, man sieht's ja beinah täglich
Doch warum kann mich mittlerweile nicht mal das mehr erschrecken
Wenn irgendwo Menschen an dreckigem Wasser verrecken?
Dieses dumpfe Gefühl, diese Leere im Kopf
So was kann uns nie passieren, und was wäre wenn doch?
Und mich zerreißen die Fragen, ich kann den Scheiß nicht ertragen
Die haben da nichts mehr zu fressen und ich hab Steine im Magen!
Absolute Wahnsinnsshow
Im Fernsehen und im Radio
Die Sonne lacht so schadenfroh
An Tagen wie diesen
Niemand, der mir sagt, wieso
Beim Frühstück oder Abendbrot
Die Fragen bohren so gnadenlos
An Tagen wie diesen
Was hat er grade gesagt an so 'nem normalen Samstag
Passiert auf bestialische Art ein ganz brutaler Anschlag
Bei dem sechs Leute starben, die Verletzten schreien Namen
Diese entsetzlichen Taten lassen mich jetzt nicht mehr schlafen
Und ich seh's noch genau das Bild im TV
Ein junger Mann steht dort im Staub, fleht um Kind und Frau
Jetzt frag ich mich, wie ist es wohl, wenn man sein Kind verliert
Noch bevor es seinen ersten Geburtstag hat
Doch das übersteigt meine Vorstellungskraft
Vielleicht waren die Attentäter voller Hass für den Gegner
Vielleicht gab es Liebe für Familie und sie waren sogar selber Väter
Manchmal, wenn ich Nachrichten seh', passiert mit mir etwas Seltsames
Denn auch wir sind Eltern jetzt, haben ein Kind in diese Welt gesetzt
Dann kommt es vor, dass ich Angst davor krieg, dass uns etwas geschieht
Dass man den verliert, den man liebt, dass es das wirklich gibt
Mitten in der Nacht werd' ich wach und bin schweißgebadet
Schleich' ans Bett meiner Tochter und hör, wie sie ganz leise atmet
Absolute Wahnsinnsshow
Im Fernsehen und im Radio
Die Sonne lacht so schadenfroh
An Tagen wie diesen
Niemand, der mir sagt, wieso
Beim Frühstück oder Abendbrot
Die Fragen bohren so gnadenlos
An Tagen wie diesen
Was für 'ne Wahnsinnsshow
Im Fernsehen und im Radio
Die Sonne lacht dabei so schadenfroh
Ich werd' die Bilder nicht mehr los
Beim Frühstück und beim Abendbrot
Niemand, der mir sagen kann, wieso.
ZUR ENTSTEHUNG
"An Tagen wie diesen" ist ein Song der deutschen Hip-Hop- und Pop-Gruppe "Fettes Brot" aus Hamburg. Die Band wurde 1992 gegründet und besteht aus den Bandmitglieder König Boris (Boris Lauterbach), Björn Beton (Björn Warns) und Dokter Renz (Martin Vandreier).
In diesem Song geht es um die Problematik der Masse an Bildern von Krieg und Gewalt, denen man in den Medien tagtäglich ausgesetzt ist. Im Video zum Song lassen "Fettes Brot" deshalb die Panzer rollen, mitten im Alltag. In der idyllischen Kleinstadt Henningsdorf in Norddeutschland brettern am hellichten Tag Panzer über den Marktplatz, holen Panzer Kinder von der Schule ab und werden Panzer beim Autohändler als Schnäppchen für 16.999 Euro angeboten. Mit völliger Selbstverständlichkeit pflügen die schweren Kriegsmaschinen durch den kleinstädtischen Videoalltag - selbst Dokter Renz' Nachbar DJ Pauly wäscht in seiner Auffahrt beschaulich seinen Panzer mit Eimer und Schwamm und winkt dem vom Joggen zurückkehrenden Dokter Renz fröhlich zu.
Björn Beton, König Boris und Dokter Renz 2019 im Interview mit SWR3
Matthias Kugler/SWR3: Ein sozialkritscher Song, der aktueller ist denn je. Was hat euch damals
dazu bewegt, ihn zu schreiben?
Björn Beton:Es war klar, dass dieser Song einen ernsten und traurigen Hintergrund haben muss. Zuerst war da die Idee, einen Song über den Krieg zu machen. Und dann sind die Überlegungen so ein bisschen in die Richtung gegangen, dass wir Krieg selber zum Glück nicht erleben mussten, sondern den Krieg nur aus den Medien kennen. Was macht das mit einem, wenn man vom Krieg hört? Wie viel Mitgefühl ist noch da? Und wie geht man dann damit um? Das war das Ziel.
SWR3: Ziemlich berüchtigt war auch euer Live-Auftritt bei der Comet-Verleihung 2005. Ihr alle drei in weißen outfits, Pascal in schwarz, und diese weißen outfits wurden immer röter und röter ...
Björn Beton:Ich hatte den Einfall aus einer riesen Bühne eine kleine Bühne zu machen. (...) Die Performance, das was da passiert, war also relativ statisch, und dann kam die Idee trotzdem sich irgend etwas verändern zu lassen, und das Blut irgendwie als Sinnbild dafür zu nehmen, dass man eben sich halt vor diesen Nachrichten nicht gänzlich schützen kann, dass sei einem trotzdem zu Herzen gehen, dass man verletzt wird dadurch, dass die mit einem was machen. Und dafür stand das Blut.
Quelle: SWR3, Größte Hits und ihre Geschichte, 18.6.2019
Der Panzer als Symbol
Dokter Renz:"Wir haben den Panzer als das Symbol für das Eindringen von Krieg und Gewalt in unseren Alltag ausgesucht. Er steht für das Gefühl, dass einen beschleicht, auch ohne herrschenden Krieg Teil einer sehr gewaltbereiten Welt zu sein."
König Boris: "Die Panzer symbolisieren auch den emotionalen Panzer, den die Menschen sich zugelegt haben, um alles, was nachrichtenmäßig über die Medien über sie einstürzt, von sich fern zu halten."
Quelle: Bravo, 8.7.2010
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
zu den Themenbereichen Krieg und Terror und Medien