Politische Songs - Ausgabe I
Ursprünglich als musikalischer Adventskalender angelegt, lädt diese Sammlung Politische Songs - Ausgabe I ein, anhand weniger Liedzeilen zu erraten, um welchen Song es sich handelt (weitere Songs finden sich in der Ausgabe II, Ausgabe III).
Wem gelingt es, anhand der Abbildung unten zu erraten
- wie der Songtitel lautet?
- wer ihn gesungen hat?
- in welchem Jahr er erschienen ist?
Am Ende findet sich die Auflösung mit dem Songtext, Hintergrundinformationen über seine Entstehungsgeschichte sowie ein YouTube-Video.
Viel Spaß beim Mitraten!
SONG 5
> Auflösung
DU HAST DEN FARBFILM VERGESSEN aus dem Jahr 1974, gesungen von NINA HAGEN mit der Band AUTOMOBIL
Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee
Micha, mein Micha, und alles tat so weh
Dass die Kaninchen scheu schauten aus dem Bau
so laut entlud sich mein Leid in's Himmelblau
So böse stampfte mein nackter Fuß den Sand
und schlug ich von meiner Schulter deine Hand
Micha, mein Micha, und alles tat so weh
tu das noch einmal, Micha, und ich geh
Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael
nun glaubt uns kein Mensch, wie schön's hier war ha ha
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel'
alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel'
alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr
Nun sitz ich wieder bei dir und mir zu Haus
und such' die Fotos für's Fotoalbum aus
Ich im Bikini und ich am FKK
Ich frech im Mini, Landschaft ist auch da - ja
Aber, wie schrecklich, die Tränen kullern heiß
Landschaft und Nina und alles nur schwarzweiß
Micha, mein Micha, und alles tut so weh
tu das noch einmal, Micha, und ich geh!
Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael
nun glaubt uns kein Mensch, wie schön's hier war ha ha
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel'
alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel'
alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr
ZUR ENTSTEHUNG
"Du hast den Farbfilm vergessen" ist ein Schlager, der 1974 von Michael Heubach komponiert wurde und dessen Text von Kurt Demmler stammt. Die damals 19-jährige Nina Hagen interpretierte den Titel mit der Gruppe Automobil. Es war ihr größter Hit in der DDR und avancierte zur heimlichen DDR-Hymne einer ganzen Generation. Schlager waren forthin allerdings nicht mehr Nina Hagens Musikgenre, sie war seither vielmehr in der Punkszene zu Hause.
Das Lied handelt von einem Urlaub des lyrischen Ichs, das identisch mit der Sängerin Nina Hagen gesehen werden kann mit ihrem Freund Michael, genannt Micha, auf Hiddensee. Dieser hat nicht daran gedacht, den Farbfilm für die Kamera mitzunehmen, weswegen die Urlausfotos durchgehend Schwarzweiß-Aufnahmen werden. Noch nach ihrer Heimkehr beim Einkleben der Fotos ins Fotoalbum bringt der Fakt, dass die Fotografien nicht bunt sind, Nina so in Rage, dass sie Micha wiederholt damit droht, ihn zu verlassen.
Sofia Neu schreibt in ihrer Analyse des Schlagers:
Der Liedtext transportiert eine dezent versteckte Kritik am politischen und wirtschaftlichen System der DDR, indem darin Unmut über das Warenangebot und die generelle Stimmung der DDR gelesen werden kann. Dabei wird der Farbfilm symbolisch aufgeladen und steht im Gegensatz zur grauen Schwarzweißfilm-Fotografie, die hier Stellvertreter für Trostlosigkeit und Eintönigkeit im wahrsten Sinne des Wortes ist. Farbfilme waren tatsächlich Mangelware in der DDR.
Nina Hagen selbst bemerkt zum ironischen Unterton des Textes in ihrer Autobiografie:
"Wahrscheinlich muss man in der DDR geboren sein, um all die Anspielungen und manchmal recht derben Bezüge zu verstehen, die dieses Lied zur heimlichen Nationalhymne einer ganzen Generation machten. Das Lied trieft vor Ironie; es ist Schlager durch Zerstörung von Schlager. Der Farbfilm atmet im Hintergrund das giftige Grau von Bitterfeld und die Tristesse von Leipzig; es spiegelt die Trostlosigkeit der Arbeitswelten zwischen Akkordschraube und Herumlungern an kaputten Maschinen; es spielt im Milieu einer irren Sehnsucht danach, dieser Schwarzweißwelt zu entfliehen, hin zu Orten voll Farbe und Licht. Da sind die kleinen Fluchten in die Natur, ans Meer, an die endlosen Sandstrände der Ostsee - Rügen, Usedom, Hiddensee -, Fluchten ins private Glück, in ein bisschen erotische Freiheit, die zum Guckloch des Paradieses werden. Aber das Paradies wird eingeholt von der banalen Alltagserfahrung in einem Staat, der knattrige, stinkende Plastikautos, beknackte Badeanzüge und Jahr für Jahr zu wenig Farbfilme hervorbringt."
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Thema DDR